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Agrarkulturerbe erhalten

VIEH setzt sich für Vielfalt in der Landwirtschaft ein

Biodiversität ist heute ein geläufiger Begriff; er bedeutet vereinfacht gesagt, dass es in der Natur eine Vielfalt an Lebewesen gibt, die durch die Evolution entstanden sind. Seit Charles Darwin wissen wir ziemlich genau, wie Arten sich entwickeln und entfalten und dass diejenigen Lebewesen die größten Chancen haben, die sich am besten an Umweltbedingungen anpassen können. Dass der Mensch diese Bedingungen immer mehr zuungunsten der Natur verändert, ist eine traurige Tatsache. Und dass man davon betroffene Lebewesen schützen muss, ist allgemeiner, gesellschaftlicher Konsens. Niemand will wirklich ein flächendeckendes Artensterben.

Wie aber sieht es mit der Agrobiodiversität aus? Da hapert es dann leider doch ein bisschen mit dem Verständnis. Allerorten gibt es inzwischen Museumsvereine, Mühlenvereine, ganze Museumsdörfer werden gebaut. Es ist wichtig, dass unser Kulturerbe erhalten wird. Aber es gibt nicht nur Architektonisches zu erhalten; Menschen haben seit Beginn der Sesshaftwerdung eine unglaubliche Vielfalt (Agrobiodiversität) an Pflanzen und Tieren gezüchtet, die mindestens ebenso schützens- und erhaltenswert sind wie gemauerte Zeitzeugen. Doch hier fehlt es an Wissen und Aufklärung. In einer Zeit, in der von der Agrarindustrie gesprochen wird - wie verräterisch ist schon das Wort – scheint kein Platz mehr zu sein für Tiere, die nicht auf extrem hohe, einseitige Leistung gezüchtet sind, die langsam wachsen und deren Fleisch eine Fettmarmorierung hat. Und es scheint auch kein Platz mehr zu sein für Nutzpflanzen, die keine immensen Erträge liefern, von denen unsere Vorfahren nur träumen konnten. Davon, dass tonnenweise Mais in Biogasanlagen gekippt würde, hat der Bauer von früher sicher auch nicht geträumt.

Um 1900 gab es in Deutschland noch rund 1000 Apfelsorten, heute findet man in Supermärkten höchstens 10 Sorten, die noch dazu alle durch Kreuzungszüchtungen miteinander verwandt sind. „Goldparmäne“ oder „Lausitzer Nelkenapfel“ – nie gehört, geschweige denn gekostet. Schinken vom Wollschwein, Sattelschwein oder dem Dänischen Glöckchenschwein, wer kennt diese Delikatesse?

Aber es gibt sie noch in Deutschland und im benachbarten, europäischen Ausland, die Klein-Bauern und Hobbyzüchter, die Enthusiasten, die sich eben dieses Ziel auf die Fahnen geschrieben haben: Erhalt der Vielfalt an wundervollen Nutztieren und Pflanzen. Mit dem Slogan „Mit Genuss erhalten“ werben sie für ihre Produkte. Im Jahr 2004 haben sie sich unter der Leitung von Herwig zum Berge zusammengeschlossen zur VIEH (Vielfältige Initiative zur Erhaltung von gefährdeten Haustierrassen) und seitdem europaweit fast 200 Nutzierarchen gegründet. Es geht uns um den Erhalt der genetischen Vielfalt. Jede Nutztierarche ist zur artgerechten Haltung und Fütterung ihrer Tiere verpflichtet. Unter Genuss seien in diesem Zusammenhang nicht nur Gaumenfreuden zu verstehen, sondern auch der Genuss, den die Menschen beim Betrachten und der Haltung der Tiere erleben könnten. Nutztierarchen sind allerdings keine Gnadenhöfe. Wer das Pflänzchen VIEH gießen möchte, müsse also Produkte alter Rassen kaufen, sonst würden sie unweigerlich und unwiederbringlich aussterben.

Nutztier-Arche, was ist das ?

Eine Nutztier-Arche ist eine Zuchtstätte für vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen, in der bedrohte Nutztierrassen gehalten und gezüchtet werden. Nutztier-Archen sind fast in ganz Europa anzutreffen.

Täglich sterben weltweit Nutztierrassen aus und gehen damit als genetische Reserve und Kulturdenkmal unwiederbringlich verloren. Dieser Entwicklung sollen die Nutztier-Archen entgegen wirken! Alte gefährdete Nutztierrassen müssen wieder bekannt werden und, vor allen Dingen, müssen deren Produkte wieder nachgefragt werden. Nur wenn, wie es der Name schon sagt, Nutztiere auch genutzt werden, können sie vor dem Aussterben gerettet werden.

Durch den Verbrauch von Produkten gefährdeter Nutztierrassen können auch Sie zur Arterhaltung beitragen. Frei nach dem Motto: Mit Genuss erhalten!

Anerkannte Nutztier-Archen werden kontrolliert, auf artgerechte Tierhaltung und Fütterung.

Landwirtschaft ohne Hast und Turbomast

In unserer schnelllebigen Zeit hat das sportliche Motto ,,Schneller, Höher, Weiter“ längst Einzug in alle Lebensbereiche gehalten. Besonders im Wirtschaftsleben gelten schnellere Produktion, höhere Gewinne und weiteres Wachstum als unverzichtbar, um konkurrenzfähig zu bleiben. Längst mahnen nicht nur Zivilisations-Aussteiger zur ,, Entschleunigung “ unseres Lebens und damit zur Wiedergewinnung von Lebensqualität.

Auch die moderne Landwirtschaft entwickelt sich im Sog der Produkttivitäts- steigerung immer mehr zur reinen Agrarindustrie. Eine einzelne Milchkuh produziert heute in einem Jahr genug Milch um einen Tanklastzug zu füllen. Schweine werden bis zu ihrer Schlachtung in automatisierten Schlachthöfen vier mal weiterverkauft, weil es sich niemand mehr leisten kann und will, fast ein ganzes Jahr auf den Verkaufserlös zu warten. Die ständige Steigerung der Hektarerträge bei z.B. Getreide oder Kartoffeln ist heute das dominierende Ziel bei der Entwicklung immer neuer Sorten.

Wenn man der Natur mehr abverlangt, als sie von sich aus geben kann, funktioniert das nur mit dem Einsatz von Turbomast-Futtermitteln, Gentechnik und jeder Menge Agrochemie. Das Ergebnis sind inhaltsarme Nahrungsmittel die wiederum zu industriellen ,,Conveniece- Produkten“ verarbeitet werden. Sie entsprechen unseren, durch die Werbung geprägten Erwartungen und Konsumgewohnheiten und sind so wenig wert wie das Preisschild verrät.

Angesichts dieser Verarmung unserer Nahrungsmittel haben einige Nutztier-Archen beschlossen, diese Entwicklung nicht mehr mitzumachen, sondern ihre Produkte nach traditioneller bäuerlicher Manier und altbewährten Verfahren zu erzeugen. Wir haben Zeit ist unser Motto, darum verzichten wir auf industriell gemischtes Leistungsfutter, auf Soja und GOV Futtermittel.

Slow Farming kann nur mit alten bewährten Rassen und Sorten gelingen, die für eine extensive Wirtschaftsweise geeignet sind. Ein auf höchste Mastleistung abgestimmtes Hybridschwein, gefüttert ohne Leistungsfutter, kann kaum Fleisch ansetzen. Eine alte Speckrasse dagegen ist mit Kartoffeln, Rüben, Gras und etwas Schrot und einem Auslauf zufrieden und liefert nach ca. einem Jahr ein gutes Schlachtergebnis. Alte regional angepasste Tomaten- und Paprikasorten wachsen auch bei uns im Freiland, die modernen Hochleistungssorten nur im Gewächshaus auf einer Art Schaumstoff, der mit einer Nährlösung versorgt wird.

Durch das langsame Wachstum haben Fleisch, Gemüse, Getreide und Früchte Zeit Nähr -und Aromastoffe anzureichern. Durch handwerkliche Verarbeitung nach traditionellen Verfahren und Rezepten werden daraus gesunde und wohlschmeckende Köstlichkeiten - kein Fast Food, sondern eben echte Lebensmittel!

Gefährdete ausländische Rassen in Deutschland

Ende 2004 wurde die „Gesellschaft für Internationale Nutztierrassen-Vielfalt“ (GENUVI)in Deutschland als gemeinnütziger Verein gegründet. Die Gesellschaft dient der Erhaltung und Zuchtkoordination lebender Tierbestände, insbesondere der Förderung internationaler seltener und gefährdeter alter Nutztierrassen, die in Deutschland gehalten werden und nicht in der „Roten Liste“ der GEH (Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V.) erfasst sind.

Die neue Gesellschaft soll für diese Rassen Kontaktstelle, Ansprechpartner, Berater, Zuchtkoordinator und Vermittler von Tieren zur besseren Zuchtrotation (lebende Genreserve) sein. Auch ist angedacht, die Existenz und den Umfang der Bestände an die Rassen- Zuchtzendren (soweit vorhanden) oder an wichtige Züchter in den Rassen- Ursprungsländern als mögliche Zuchtreserve zu melden. Darüber hinaus soll die Gesellschaft auch Eigentümer von Tierbeständen sein, indem sie als Auffangstation für bestimmte Rassen- Kleinpopulationen fungiert, deren Nachzuchten dann an die Mitglieder weitergegeben werden.

Unsere Umweltprobleme nehmen drastisch zu. In den nächsten 20- 30 Jahren ist ein gigantischer Artentod bei Tieren und Pflanzen zu erwarten. Man nimmt an, dass er die genetische Vielfalt auf dieser Erde wesentlich stärker reduzieren wird, als das Massensterben bei Fauna und Flora im Erdmittelalter. Andererseits werden wir in der Lage sein müssen, als Folge der Bevölkerungsexplosion in 30 Jahren acht Milliarden Menschen ernähren zu können. Ein Tauziehen zwischen vernetzenden Biotopschutzmaßnahmen als grüne Lunge der Restnatur und den intensiven Nutzungsformen der Landwirtschaft zur Ernährung der Weltbevölkerung ist in vollem Gange.

Leben ist Vielfalt…

und Aussterben heißt verschwunden von dieser Erde

für alle Zeiten!

Deutschland und über 170 Länder der Erde haben sich verpflichtet, die Biodiversität aller Lebewesen und wichtigen Lebensräume nachhaltig zu schützen (Rio- Konvention 1992). Daneben fordert das Deutsche Tierschutzgesetz eine artgerechte Haltung der Tiere, die wir in menschlicher Obhut halten.

Aussterbende Haus- und Nutztiere?

Dass Berggorillas oder der sibirische Tiger vom Aussterben bedroht sind, weiß sicherlich jeder von uns! Aber Haus- und Nutztiere? Brauchen wir wirklich Initiativen um alte und gefährdete Nutztierrassen zu retten?

Ja, leider sind sie dringend notwendig!

Denn wer kennt sie noch, das Bunte Bentheimer Schwein, das Ramelsloher Huhn oder das Rauhwollige Landschaf? In den verschiedenen Regionen Deutschlands wurden, wie auch anderswo auf unserem Erdball, über Jahrhunderte eine Vielzahl unterschiedlicher Nutztierrassen gezüchtet. Diese passten sich hervorragend an ihre Umgebung an, kamen etwa mit besonderen Klimabedingungen oder  Besonderheiten „der Scholle“ gut zurecht. Mit der zunehmenden Modernisierung der Landwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg ging das Interesse an diesen alten Landrassen verloren und verdrängte diese durch den Einsatz Gewinn versprechender Hybriden und Hochleistungsrassen.

Heute wissen wir, dass damit ein wichtiges Potenzial mit Eigenschaften wie Robustheit, Langlebigkeit, Genügsamkeit, Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten usw. unwiederbringlich verloren ging, bzw. immer noch verloren geht. Zudem sind die alten Rassen, welche über Jahrhunderte unsere Vorfahren begleiteten, ein zu schützendes Kulturgut, vergleichbar mit alten Baudenkmälern oder Kunstwerken.

Als das Problem des Rassesterbens erkannt wurde, war es vielerorts schon zu spät. So ist z.B. das Deutsche Weideschwein seit einigen Jahren ausgestorben.

 

 
 

 

 
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